Volk und Welt, 1975. — (Spektrum Nr. 78).
Man nennt sie Rosalie, weil eine andere Sklavin dieses Namens gerade gestorben ist, nennt sie Zwei-Seelen, weil jedes ihrer Augen eine andere Farbe hat, nennt sie Schattenwesen, weil sie ein Hund in Menschengestalt sein möchte. Sie aber gibt sich den Namen Solitude – Einsamkeit. Die Angehörigen der weißen Oberschicht von Guadeloupe – der blühenden Insel in der Karibischen See – verachten und demütigen sie, und ihre schwarzen Leidensgefährten begegnen ihr mit Argwohn, weil sie eine hellere Hautfarbe hat. Im Hause ihres Herrn genießt sie zunächst eine bevorzugte Stellung, denn sie ist klug, gehorsam und schön. Doch dann erwacht ihr rebellischer Geist, sie begehrt auf, fällt in Ungnade, gerät an einen neuen Herrn, der sie wie ein Stück Vieh weiterverkauft. 1795 verkündet die junge französische Republik die Abschaffung der Sklaverei in ihren überseeischen Gebieten. Schon glauben sich die Sklaven frei, doch die Zwangsarbeit wird bald wieder eingeführt. Ein Sturm bricht los, die Schwarzen – unter ihnen Solitude – leisten erbitterten Widerstand und ziehen sich in die Wälder zurück.
André Schwarz-Bart, 1928 in Metz geboren, durch »Der Letzte der Gerechten« (1959), seinen erschütternden Roman über die Judenverfolgung, zu Weltruhm gelangt, erzählt in dem vorliegenden Kurzroman in legendenhaftem Ton und poetisch verdichteter Sprache vom Leben der farbigen Sklaven auf der Antilleninsel Guadeloupe. »Die Mulattin Solitude« ist ein in sich geschlossenes Werk, das der Autor als Teil eines in Entstehung begriffenen mehrbändigen Zyklus über die Geschichte von Guadeloupe vorstellte.